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Schwangere Migrantinnen stärken

10.01.2022

Schwangere und sozial benachteiligte Migrantinnen leiden verstärkt unter Risikoschwangerschaften. Die Hebammen und Kursleiterinnen von Mamamundo möchten dies ändern. In den Geburtsvorbereitungskursen lernen die Frauen alles rund um die Geburt in ihrer Muttersprache und unter Berücksichtigung ihrer Herkunft und Biografie.

Im Zimmer des Geburtsvorbereitungskurses geht es lebhaft zu und her: Während Hebamme und Kursleiterin Petra Hürlimann vom Stillen redet, übersetzen interkulturelle Vermittlerinnen für die schwangeren Teilnehmerinnen den Kursinhalt. Sie sitzen auf farbigen Bällen oder liegen auf Matten mit Stillkissen. Hauptsache bequem soll es sein. Es wird gelacht und auch mal geweint. Wenn Hebamme Hürlimann von Mamamundo erzählt, leuchten ihre Augen: «Ich gebe die Kurse wahnsinnig gerne, und es ist so schön, wenn die Frauen erzählen, dass sie jetzt auf die Geburt vorbereitet sind. Dank Unterstützung von kantonalen Mitteln der Dienststelle Gesundheit und Sport sowie Geldern von der Gesundheitsförderung Schweiz finden jährlich drei Kurse in neun möglichen Sprachen in der Frauenklinik des Luzerner Kantonsspitals statt. Caritas Luzern leitet das Projekt.

«Ich lernte viel in diesem Kurs»

Auch die 28-jährige Mina Baryalai* aus Afghanistan besuchte den Kurs: «Ich bin froh, dass ich diesen Kurs besuchen konnte, als ich schwanger war. Ich lernte viel.» In den Kursen lernen die Frauen alles rund um die Schwangerschaft, die Geburt und das Wochenbett unter Berücksichtigung ihrer Herkunft und Biografie. Auch ihre Rechte, das Schweizer Gesundheitssystem und weibliche Genitalverstümmelung sind Themen. Baryalai kam erst einige Monate vor der Geburt ihres Kindes in die Schweiz und hatte kein soziales Umfeld, das sie unterstützte. «Im Kurs lernte ich andere Mütter kennen, denen es ähnlich ging.» In einer WhatsApp-Gruppe tauschten sie sich auch ausserhalb des Kurses aus.

Ohne Hemmungen Fragen stellen

Dank der interkulturellen Vermittlerin Ashti Hama-Amin verstand die junge Schwangere, um was es im Kurs ging. Hama-Amin arbeitet für den Dolmetschdienst Zentralschweiz von Caritas Luzern und spricht Deutsch, Kurdisch, Arabisch, Farsi und Dari. Ihre Arbeit geht über das sinngemässe Dolmetschen hinaus. Sie kennt beide Kulturen und bezieht auch die Lebenswelt der Frauen mit ein. Sie ist mittendrin in ihrem Leben – sogar im Gebärsaal war sie schon dabei. Sie wählt ihre Worte bedacht und lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Auch sie musste aus ihrer Heimat Kurdistan/Nordirak fliehen und gebar ihren Sohn im Iran ohne Unterstützung ihrer Familie. «Hier im Kurs sind alle gleich – trotz Unterschieden. Die Frauen können ohne Hemmungen ihre Fragen stellen.»

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Erhöhte Chance auf Risikoschwangerschaft

Als Hebammen haben Hürlimann und ihre Kollegin Pia Scognamiglio gesehen, dass schwangere und sozial benachteiligte Migrantinnen mit Verständigungs- und Zugangsschwierigkeiten keine Anlaufstelle kennen: «Es war schlimm, zu sehen, wie diese Frauen viel zu früh oder zu spät ins Spital gekommen sind und manche ihre Kinder verloren haben. Sie besuchen selten herkömmliche Geburtsvorbereitungskurse: Entweder kennen sie das Angebot nicht, haben ungenügende Sprachkenntnisse oder ihnen fehlen die finanziellen Mittel. Die Hebammen merkten: Wüssten die Frauen Bescheid, könnte viel Leid verhindert werden. Deshalb ergriffen sie die Initiative, um das Konzept von Mamamundo Bern auch in Luzern einzuführen. Ihr Anliegen ist auf grosses Interesse gestossen.
 

Erfolgreiches Projekt

Der Bundesrat kommt in einer Studie von 2015 zum Fazit, dass bei Müttern und Säuglingen mit Migrationshintergrund, die sozial benachteiligt sind, öfters Probleme auftreten als bei Schweizer Müttern. Dazu gehören: höhere Raten an Schwangerschaftsabbrüchen, mehr Kinder mit einem geringen Geburtsgewicht, erhöhte Säuglings- und Müttersterblichkeit. Laut einer Studie des Bundesamtes für Statistik von 2014 lag die Müttersterblichkeit von Ausländerinnen während der Jahre 2002 bis 2013 etwa 25 Prozent h.her als bei Schweizerinnen. Vor allem das soziale und ökonomische Umfeld können zu diesen Unterschieden führen: Migrantinnen in der Schweiz arbeiten oft unter schwierigeren Arbeitsbedingungen als Schweizerinnen. Ihre Lebenssituationen sind meist belastend: Viele sind allein und leben in prekären Aufenthaltsverhältnissen.
 

«Es ist wichtig, diese oftmals sehr jungen Migrantinnen zu erreichen, sagt Isabelle Häfliger von Caritas Luzern, die das Projekt operativ leitet. Dabei spielen sensibilisierte Mitarbeitende in Asylunterkünften, bei Sozialdiensten und im Schwangerschaftsambulatorium eine zentrale Rolle. Die Kurse fördern die Chancengleichheit auf Gesundheit. Gleichzeitig entlasten sie das Fachpersonal in den Spitälern. Erste Evaluationen zeigen erfolgreiche Ergebnisse: «Im Gebärsaal erzählten sie mir, dass die Frauen, die unseren Kurs besucht haben, ruhiger und harmonischer gebären», sagt Hürlimann.

*Name geändert
(Fotos: mamamundo Bern)

Petra Hürlimann_mamamundo_quadrat
Petra Hürlimann

ist als freiberufliche Hebamme FH in Luzern und Nidwalden tätig und gibt Geburtsvorbereitungkurse in der Frauenklinik Luzern. Sie hat langjährige Erfahrungen als Pflegefachfrau und Hebamme FH. Wohnhaft ist sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Kriens.

Ashti Hama-Amin_mamamundo

Ashti Hama-Amin

ist seit 2002 Dolmetscherin und interkulturelle Vermittlerin beim Dolmetschdienst Zentralschweiz. Sie übersetzt und vermittelt in vielen Institutionen wie Schulen, Asylzentren, Spitälern, Gefängnissen oder auf dem Standesamt. Sie wohnt mit ihrer Familie im Kanton Luzern.

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